Vierte Gesamtschule in Siegen – ein kleiner Schritt zum Schulfrieden
Ein Kommentar von Bernhard Nolz, Friedenspädagoge
Ein bisschen (Schul-) Frieden
Mit dem Beschluss, eine vierte Gesamtschule in Siegen einzurichten, hat die Ratsversammlung eine gute Entscheidung getroffen. Der kommunale Schulfrieden ist gestärkt worden. Ab August 2023 können tatsächlich alle Schüler:innen, die es möchten, eine integrierte Gesamtschule besuchen. Und die Gesamtschule ermöglicht alle Bildungsabschlüsse der Sekundarstufen I und II bis zum Abitur.
Schul- und Lebensgemeinschaften
Bisher musste in jedem Jahr wieder eine Vielzahl von Bewerber:innen von den Siegener Gesamtschulen abgewiesen werden. Die betroffenen Schüler:innen und ihre Eltern sind über diese Zwänge unzufrieden. Gleichzeitig gehen die Anmeldungen an den Haupt- und Realschulen immer weiter zurück. Das nach Begabung gegliederte Schulsystem – aus dem 19. Jahrhundert stammend – hat sich längst überholt.
Strukturelle Gewalt nennt man den Umstand, dass nach vier gemeinsamen Grundschuljahren die Schüler:innen sich auf verschiedene Schulformen verteilen müssen. Wenn sie länger zusammen bleiben, wird der soziale Zusammenhalt der Schülerschaft gefördert. Zugleich werden Bildungs- und Lebenschancen länger offen gehalten. Dadurch gleichen sich individuelle Wünsche und gesellschaftliche Erwartungen an.
Die Zukunft gehört der Gesamtschule
Bei der Gründung der Gesamtschulen in NRW im Jahre 1969 wurde versäumt, die Gesamtschule als Regelschule einzuführen, obwohl schon fast alle europäischen Staaten integrierte Schulsysteme hatten. So gab es im Gründungsjahr in NRW nur 7 statt 70 neue Gesamtschulen. Die Ungerechtigkeiten waren damit vorprogrammiert. 50 Jahre lang wussten Landes- und Kommunalpolitiker:innen die flächendeckende Einrichtung von Gesamtschulen zu verhindern.
Mit vier Gesamtschulen sticht Siegen bald positiv hervor. Im Verbund mit Grundschulen können jetzt alle Schüler:innen von Klasse 1 bis 10 zusammen bleiben. Das Vorbild wird langfristig dazu führen, dass die Gymnasien dieses Gemeinschaftsmodell übernehmen.
Doch gibt es ein grundsätzliches Problem: Schülerinnen und Schüler mit Behinderung werden außen vor gehalten. Ein weiteres Beispiel für strukturelle Gewalt!
Inklusion ausdehnen!
Menschen mit und ohne Behinderungen sollen von Anfang an gemeinsam lernen. Die UN-Behindertenrechtskonvention verlangt ein solches inklusives Bildungssystem. Doch das Land NRW hat die Inklusion von behinderten Schülerinnen und Schülern nicht voran gebracht. Von der neuen Landesregierung (CDU/GRÜNE) wird erwartet, dass die Ausgrenzung der behinderten Schüler:innen beendet wird.
In Siegen soll die neue Gesamtschule in der Weise entstehen, dass aus einem Gymnasium, einer Realschule und einer Hauptschule eine neue Gesamtschule gebildet wird. Wenn das Schulkonzept erweitert und eine Förderschule einbezogen würde, wären auch die behinderten Schüler:innen dabei. Ein weiterer Schritt zum Schulfrieden!
Lernen für den Frieden und für das Leben
Die Problemfelder Gesamtschule und Inklusion verdeutlichen, dass das Lernen für den Frieden und für das lebendige Leben auf die Tagesordnung jeder Schule gehört.
Bernhard Nolz ist Lehrer i.R. und gehört zum Leitungsteam des Siegener Dunkelcafés – außerschulischer Lernort für Inklusion. Er ist Aachener Friedenspreisträger, Träger eines Preises für Zivilcourage, Sprecher der Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden und Leiter des Siegener Zentrums für Friedenskultur. 0171 8993637, nolzpopp@web.de, www.friedenspaedagogen.de